Auswirkungen von Corona-Massnahmen auf Geschäftsmietverträge

Durch die staatlich angeordneten Massnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie wurden zahlreiche Mieter von Geschäftsräumen dazu gezwungen, während mehreren Monaten ihre öffentlich zugänglichen Einrichtungen für das Publikum zu schliessen und ihre Leistungen einzustellen. In der Folge verzeichneten viele Geschäfte erhebliche Umsatzeinbrüche, die allerdings in unterschiedlicher Weise durch staatliche Ausgleichszahlungen oder Versicherungsleistungen kompensiert wurden.Autor: Dr. iur. HSG Sebastian Reichle
Auswirkungen von Corona-Massnahmen auf Geschäftsmietverträge

Es entbrannte eine Diskussion über die Frage, ob Mieter von Geschäftsräumen aufgrund der staatlich angeordneten Einschränkungen einen Mietzinssenkungsanspruch geltend machen können. In vielen Fällen wurden einvernehmliche Lösungen gefunden. Zwei bislang ergangene erstinstanzliche Urteile aus dem Kanton Zürich stützen die am 18. Mai 2020 im Jusletter publizierte Analyse der Autoren, die sich für die Anwendbarkeit der clausula rebus sic stantibus (nachfolgend «clausula») aussprechen und die Frage des Anspruchs auf Anpassung des Mietzinses von den Umständen des Einzelfalls abhängig machen.

 

Erstinstanzliche Urteile zur kontroversen Frage

Das Bezirksgericht Zürich wies in seinem Urteil vom 23. April 2021 das Gesuch um provisorische Rechtsöffnung der Vermieterin für ausstehende Mietzinse mit der Begründung ab, es sei naheliegend, dass das Bundesgericht basierend auf seiner Rechtsprechung aus dem Jahre 1922 gestützt auf die clausula eine Mietzinsreduktion gewähren würde.

Das Mietgericht Zürich äusserte sich in seinem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 2. August 2021 ausführlich zur eingangs erläuterten Grundsatzfrage. Es verpflichtete die beklagte Mieterin zur Bezahlung der gesamten eingeklagten Mietzinse und verneinte damit ihren Anspruch auf Anpassung des Mietzinses wegen behördlicher Einschränkungen und Schliessungen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie. Der Mietvertrag enthielt keine besonderen Zusicherungen seitens der Vermieterin oder Risikotragungsklauseln zu den Auswirkungen pandemiebedingter Betriebsschliessungen. In grundsätzlicher Hinsicht führte das Gericht aus, dass eine Vertragskorrektur nach den Regeln der Teilunmöglichkeit (Art. 119 OR) oder eine Mietzinsminderung (Art. 259d OR) nicht in Betracht kommen. Hingegen erklärte es bei zeitlich und sachlich besonders schweren Auswirkungen behördlicher Anordnungen eine gerichtliche Vertragsanpassung wegen wesentlich veränderter Umstände unter strengen Voraussetzungen für möglich. Im zu beurteilenden Fall hatte die Mieterin der Geschäftsräume nicht nachgewiesen, inwiefern sich die staatlich angeordneten Massnahmen der Gesundheitsbehörden konkret auf ihren Geschäftsbetrieb ausgewirkt haben und was sie unternommen hat, um die Auswirkungen zu überwinden. Sie legte insbesondere keine Umsatzzahlen vor, die eine gravierende Äquivalenzstörung belegen würden.

 

Anspruchsprüfung

a) Vorrang vertraglicher Abreden

Zunächst ist jeweils zu prüfen, ob die Parteien die Folgen und Risiken von Nutzungsbeschränkungen, wie sie sich aus behördlichen oder gesetzgeberischen Massnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie ergeben, vertraglich geregelt haben. Grundsätzlich liegt das Betriebsrisiko beim Mieter. Eine Zusicherung oder Risikobeteiligung des Vermieters ist nicht leichthin anzunehmen. Die vertragliche Festsetzung des Mietzwecks allein genügt regelmässig nicht, um von einer «Nutzungszusicherung» seitens des Mieters auszugehen. Es bedarf besonderer vertraglicher Zusicherungen, damit der Vermieter die finanziellen Folgen des sich mit der Pandemie verwirklichten Risikos (mit)trägt.

Fehlt es an einer spezifischen vertraglichen Abrede – was in der Praxis die Regel sein dürfte –, so ist abzuklären, ob gegebenenfalls aus dem Gesetzesrecht ein Senkungsanspruch hergeleitet werden kann.

 

b) Kein Fall der unverschuldeten nachträglichen (temporären) Unmöglichkeit

Gemäss Art. 119 OR gilt eine Leistung des Schuldners als erloschen, wenn sie durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, unmöglich geworden ist. Gemäss bisheriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung kommt eine temporäre Unmöglichkeit nur in Betracht, wenn sie mit Gewissheit bis zum Vertragsende bestehen bleibt oder zumindest ihr Wegfall nicht abzusehen ist.

Zum selben Ergebnis kommt das Zürcher Mietgericht in seinem Entscheid vom 2. August 2021. Primär verneint es die Anwendbarkeit von Art. 119 OR bereits mangels Dauerhaftigkeit der Unmöglichkeit. Zudem geht es sekundär von einer Verwendungsunmöglichkeit und nicht von einer Zweckverfehlung aus. Im konkreten Fall wurde «die Gebrauchsüberlassung des Mietobjekts durch die Massnahmen des Bundesrats [...] nicht beeinträchtigt, weshalb die Klägerin ihre Hauptleistung mit der Gebrauchsüberlassung des Mietobjekts gehörig erbracht hat».

 

c) Herabsetzungsanspruch wegen Mangel an der Mietsache

Der Begriff des Mangels umfasst nicht nur den eigentlichen körperlichen Sachmangel, sondern auch jede andere Störung im vertragsgemässen Gebrauch, inklusive Störungen rechtlicher Natur. Entsprechend vertritt ein Teil der Lehre die Auffassung, dass die staatlich angeordneten Betriebsschliessungen als Mangel an der Mietsache zu qualifizieren seien und dementsprechend ein Herabsetzungsanspruch gewährt werden müsse.

Unseres Erachtens ist mit dem deutschen Bundesgerichtshofs zwischen objekt- und betriebsbezogenen Umständen zu unterscheiden. Die Verantwortung des Vermieters beschränkt sich hiernach einzig auf die objektbezogenen Umstände, namentlich solche, die die Lage, Beschaffenheit oder den Zustand des Mietobjekts betreffen. Auch die schweizerische Rechtsprechung anerkennt Herabsetzungsansprüche bei objektbezogenen Umständen wie beispielsweise Lärm durch Bauvorhaben in der Nachbarschaft oder Fluglärm. Die behördlich angeordneten Lockdowns sind jedoch nicht als objektbezogene Mängel an der Mietsache zu qualifizieren. Vergleichbar mit einem spezifisch für Gastronomiebetriebe geltenden Rauchverbot stellen sie betriebsbezogene Umstände dar, die in die Risikosphäre des Mieters fallen.

Das Urteil des Zürcher Mietgerichts vom 2. August 2021 stützt diese Ansicht und lehnt einen Anspruch auf Herabsetzung des Mietzinses wegen einem Mangel an der Mietsache mit der Begründung ab, dass das Geschäft des Mieters nicht Teil des Mietvertrags bildet. Eine Übernahme des Betriebsrisikos in die Risikosphäre des Vermieters bedürfe einer besonderen Abrede. Die angeordneten Ladenschliessungen stellen einzig betriebsbezogene Mängel dar.

 

d) Anwendbarkeit der clausula rebus sic stantibus                                                         

Wie bereits ausgeführt, lassen die beiden dargelegten erstinstanzlichen Urteile auf die grundsätzliche Bejahung eines Mietzinsreduktionsanspruchs unter Anwendung der Rechtsfigur der clausula schliessen.

Gemäss Rechtsprechung setzt «ein richterlicher Eingriff in einen Vertrag aufgrund veränderter Umstände […] voraus, dass die Verhältnisänderung weder vorhersehbar noch vermeidbar war, […] eine gravierende Äquivalenzstörung zur Folge hat und der Vertrag nicht vorbehaltlos erfüllt wurde».

Veränderte Umstände: Dass sich die Umstände seit Vertragsschluss durch den Eintritt der Corona-Pandemie verändert haben, ist zu bejahen. Ladenlokale mussten geschlossen werden und konnten nicht mehr wie gewohnt genutzt werden.

Voraussehbarkeit: Grundsätzlich muss bei längerfristigen Verträgen stets mit Veränderungen gerechnet werden. Auch Gesetzesänderungen gelten nicht als unvorhersehbar. Selbst wenn man aber argumentieren würde, dass mit dem Eintreten einer Epidemie oder gar Pandemie stets gerechnet werden muss, konnte man wohl kaum mit dem Ausmass der behördlichen Anordnungen und den damit einhergehenden Umsatzeinbussen rechnen.

Vermeidbarkeit: Unter den Begriff der Vermeidbarkeit fällt auch die Überwindbarkeit eines zukünftigen Ereignisses. Hiernach fällt die Vertragsanpassung ausser Betracht, wenn eine Partei die Folgen der künftigen Entwicklung hätte überwinden können. Die Parteien konnten weder mit den schwerwiegenden Folgen der Corona-Pandemie rechnen, noch hätten sie Massnahmen zu deren gänzlichen Überwindung treffen können. Wenn auch beispielsweise Restaurants Take-away-Dienste anbieten können, führt dies grundsätzlich nicht zur Überwindbarkeit und Vermeidbarkeit der Ladenschliessungen und damit verbundenen Umsatzeinbussen.

Gravierende Äquivalenzstörung: Die veränderten Verhältnisse müssen eine schwere Äquivalenzstörung auslösen. Können die Räumlichkeiten infolge staatlicher Anordnung gar nicht oder nur noch teilweise genutzt werden und kann somit der Mieter keine oder lediglich wenige Einnahmen erzielen, erscheint die volle Bezahlung des Mietzinses in der Regel als unverhältnismässig. Beanspruchen Geschäfte während der Zeit der Betriebsschliessungen staatliche Hilfe, zum Beispiel in der Form von Kurzarbeitsentschädigung, so ist dieser Umstand bei der Beurteilung der Äquivalenzstörung zu berücksichtigen.

Keine vorbehaltlose Vertragserfüllung: Möchten betroffene Mieter die Anpassung des Vertrages verlangen, dürfen sie den Mietzins während der staatlich angeordneten Schliessungen lediglich unter dem Vorbehalt der Vertragsanpassung tilgen.

Fazit

Im Grundsatz gilt, dass eine vertragliche Regelung, mit welchen der Vermieter ein Verwendungsrisiko mit übernimmt, vor anderen Rechtsfiguren Vorrang geniesst. Besteht keine solche Vereinbarung, stellt sich die Frage der Rechtsgrundlage für pandemiebedingte Mietzinsreduktionen. Sie ist nicht abschliessend geklärt. Die ersten Gerichtsentscheide lassen darauf schliessen, dass die clausula als Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Mietzinsreduktion während des Lockdowns anwendbar ist. Es zeichnet sich weiter ab, dass die Anforderungen, um eine gravierende Äquivalenzstörung zu belegen, sich als entscheidend erweisen dürften. Die Rechtsfiguren der unverschuldeten Unmöglichkeit sowie der Anspruch auf Herabsetzung wegen eines Mangels an der Mietsache dürften im Gegensatz zur clausula in den hier interessierenden Fällen eher nicht zur Anwendung kommen.

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