Das neue Verjährungsrecht

Seit dem 1. Januar 2020 gilt das neue Verjährungsrecht. Mit der Revision wurden insbesondere die Fristen für Forderungen aus unerlaubter Handlung und ungerechtfertigter Bereicherung sowie generell für Forderungen aus Körperverletzung oder Tötung eines Menschen verlängert. Neben den geänderten Fristen wurden überdies zahlreiche weitere Regelungen revidiert, die im Zusammenhang mit dem Verjährungsrecht stehen. Es handelt sich dabei insbesondere um Bestimmungen zur Verjährungshemmung und zum Verjährungsverzicht.Autor: Dr. iur. Romana Kronenberg Müller
Das neue Verjährungsrecht

1. Der Zweck der Verjährung

Die Verjährung bedeutet, dass eine Forderung ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr durchgesetzt werden kann. Sie soll somit insbesondere den Schuldner vor Forderungen schützen, mit denen der Gläubiger lange zugewartet hat. Aufgrund der verstrichenen Zeit rechnet der Schuldner unter Umständen nicht mehr mit der Durchsetzung der Forderung und verfügt daher nicht mehr über die erforderlichen Beweismittel. Der Eintritt der Verjährung bedeutet jedoch nicht, dass die Forderung nicht mehr besteht, sondern nur, dass der Schuldner das Recht hat, die Leistung zu verweigern, indem er die sogenannte Verjährungseinrede geltend macht.

 

2. Die Hauptgründe für die Revision des Verjährungsrechts

Das Recht des Schuldners, die Erfüllung der geschuldeten Forderung nach Ablauf einer bestimmten Zeit zu verweigern, führte in der Vergangenheit immer wieder dazu, dass die Forderung bereits verjährt war, bevor der Geschädigte überhaupt vom erlittenen Schaden Kenntnis hatte. Dies war insbesondere bei Erkrankungen durch Asbest der Fall. Damit solche Spätschäden besser geltend gemacht werden können, wurden die Verjährungsfristen insbesondere bezüglich Personenschäden entsprechend angepasst.

Gleichzeitig wurden auch die – im internationalen Vergleich untypisch kurzen – Fristen zur Geltendmachung von Schäden aus unerlaubter Handlung und ungerechtfertigter Bereicherung verlängert.

 

3. Die neuen Verjährungsfristen

3.1. Forderungen aus Vertrag

Die Verjährungsfristen für Forderungen, denen ein Vertragsverhältnis zugrunde liegt, haben sich einzig bezüglich der Schadenersatzforderungen infolge von Personenschäden geändert. Demgegenüber sind sowohl die Grundsatznorm, wonach alle Forderungen aus Vertrag spätestens nach zehn Jahren verjähren , als auch die speziellen Regelungen (z. B. für Forderungen von Miet- und Pachtzinsen, aus Arbeitsverhältnissen , aus Gewährleistungen für Mängel einer gekauften Sache  oder aus Werkvertrag ) unverändert geblieben.

Mit Art. 128a OR hat per 1.1.2020 ein weiterer Spezialtatbestand Aufnahme ins vertragliche Verjährungsrecht gefunden. So kann die Forderung für einen Personenschaden, welcher auf ein vertragswidriges Verhalten zurückzuführen ist, innert drei Jahren ab Kenntnis des Schadens geltend gemacht werden (relative Frist). Dies allerdings nicht unbeschränkt lange: Der Gläubiger hat hierfür neu maximal 20 Jahre (absolute Frist) seit dem schädigenden Ereignis Zeit. Sind diese 20 Jahre vorbei, ist die Forderung definitiv verjährt. Vor der Revision galt einzig eine (ordentliche) zehnjährige Frist seit dem schädigenden Ereignis, innert welcher die Forderung geltend zu machen war.

 

3.2. Forderungen aus un­erlaubter Handlung und aus ungerechtfertigter Bereicherung

Geändert wurden auch die Verjährungsfristen im Delikts- und Bereicherungsrecht, dem sog. ausservertraglichen Haftpflichtrecht. Unabhängig vom Rechtsgrund (Personen-, Sach- oder Vermögensschaden) gilt seit dem 1.1.2020 für Forderungen, die auf eine unerlaubte Handlung oder eine ungerechtfertigte Bereicherung zu­rückzuführen sind, eine relative Verjährungsfrist von drei Jahren  – und nicht mehr von einem Jahr – ab Kenntnis des Schadens und der ersatzpflichtigen Person.

Wie bei den vertraglichen Ansprüchen bleibt die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren grundsätzlich auch bei den ausservertraglichen Ansprüchen bestehen. Davon ausgenommen sind jedoch wiederum Forderungen aus Personenschäden, d.h. aus Schäden, welche aus der Körperverletzung oder der Tötung eines Menschen resultieren. Auch im ausservertraglichen Haftpflichtrecht wurde die diesbezügliche absolute Verjährungsfrist von zehn auf zwanzig Jahre verlängert.

Um der Vollständigkeit willen ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass für Forderungen, die auf eine strafbare Handlung zurückzuführen sind, die Verjährungsfrist des Strafrechts auch für den zivilrechtlichen Anspruch gilt, sofern die strafrechtliche Verjährungsfrist länger ist.

 

4. Hemmung und Stillstand der Verjährung

Der Unterschied zwischen der Unterbrechung der Verjährung einerseits und der Hemmung bzw. dem Stillstand der Verjährung anderseits liegt in der jeweiligen Wirkung auf die Verjährungsfrist. Bei der Unterbrechung beginnt die Verjährungsfrist mit ihrer gesamten Dauer von Neuem zu laufen. Demgegenüber kann die Frist bei der Hemmung noch gar nicht zu laufen beginnen – sie beginnt stattdessen erstmals nach dem Wegfall des Hemmungsgrundes zu laufen. Beim Stillstand steht die Verjährungsfrist schliesslich entsprechend dem Wortlaut still. Nach dem Wegfall des Stillstandsgrundes läuft sie dort weiter, wo sie sich vor Eintritt des Stillstands zeitlich befand.

Während die Gesetzesbestimmungen zur Verjährungsunterbrechung unverändert geblieben sind, wurde der gesetzliche Katalog der Hemmungs- und Stillstandgründe anlässlich der Revision erweitert. Neu beginnt nun die Verjährungsfrist während der Dauer von Vergleichsgesprächen, eines Mediationsverfahrens oder während anderen Verfahren zur aussergerichtlichen Streitbeilegung nicht zu laufen bzw. sie steht still, sofern die Parteien dies schriftlich vereinbaren. Gemäss der Botschaft des Bundesrates ist diese Aufzählung in Ziff. 8 von Art. 134 OR nicht abschliessend. Alle formellen und informellen Arten der Streitbeilegung ausserhalb des gerichtlichen Klagewegs sollen erfasst sein. So muss für eine Mediation z. B. nicht zwingend ein Dritter beigezogen werden und auch direkte Gespräche zwischen den Parteien fallen unter diese Bestimmung.

Im Gegensatz zu den übrigen Stillstands- und Hemmungsgründen müssen die Parteien die Hemmung oder den Stillstand der Verjährungsfrist im Fall von Art. 134 Ziff. 8 OR schriftlich vereinbaren. Wichtig ist, dass aus einer solchen Vereinbarung klar hervorgehen muss, von wann bis wann die Vereinbarung ihre Gültigkeit hat. Zudem sollte das betroffene Rechtsverhältnis umschrieben werden, sodass in einem späteren allfälligen Streit bezüglich des Eintritts der Verjährung klar bestimmt werden kann, ob die Frist während der Vergleichsverhandlungen gehemmt wurde bzw. stillstand oder nicht.

Ob sich dieses neue Institut in Zukunft etablieren wird, muss sich erst noch zeigen. Auf jeden Fall gibt es den Parteien eine weitere Möglichkeit, abweichende Standpunkte hinsichtlich einer Forderung in Ruhe und ohne Zeitdruck zu be­sprechen und eine möglichst einvernehmliche Lösung zu finden.

 

5. Verjährungsverzicht

In der Praxis spielt der Verjäh­rungsverzicht bereits heute eine grosse Rolle. Indem der Schuldner einen Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede abgibt, sind keine verjährungsunterbrechende Massnahmen wie z. B. das Einreichen eines Schlichtungsgesuches oder die Einleitung einer Betreibung durch den Gläubiger mehr notwendig. Damit wird den Parteien ebenfalls die Möglichkeit eröffnet, ohne Zeitdruck und ohne feindliche Handlungen durch den Gläubiger Vergleichsgespräche zu führen.

Mit dem neu formulierten Art. 141 OR beabsichtigte der Ge­setzgeber, die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Verjährungsverzicht zu kodifizieren. Dies ist ihm leider nur zum Teil gelungen. Insbesondere bezüglich der Frage, ab wann auf die Einrede der Verjährung verzichtet werden kann, wich der Gesetzgeber von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ab, indem er festschrieb, das der Einredeverzicht erst ab dem Beginn der Verjährungsfrist möglich sein sollte und nicht, wie das Bundesgericht festhielt, ab dem Vertragsschluss. Dass der Verjährungsverzicht neu nur noch für höchstens zehn Jahre zulässig ist, ist ebenfalls ein Ausfluss aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Immerhin ist aber die Verlängerung um jeweils weitere zehn Jahre nach wie vor möglich.

Die wichtigste Veränderung bezüglich des Verjährungsverzichts betrifft jedoch dessen Form. Neu muss der Verzicht schriftlich im Sinne von Art. 13 OR erfolgen, wonach eine rechtskonforme Unterschrift erforderlich ist. Demgemäss sind Verzichtserklärungen mit Faksimile-Unterschriften nicht mehr gültig und für die Abgabe per E-Mail wird eine elektronische Signatur benötigt. Insbesondere für Versicherungen, für welche die Abgabe von Verzichtserklärungen zum Tagesgeschäft gehört, dürfte diese neue Formvorschrift eine Herausforderung darstellen.

 

6. Übergangsrecht

Das neue Recht lässt den Beginn der laufenden Verjährungsfristen grundsätzlich unberührt. Begann eine Verjährungsfrist jedoch bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen zu laufen und war die Verjährung am 1.1.2020 noch nicht eingetreten, so muss im Einzelfall geprüft werden, ob die altrechtlichen Verjährungsfristen oder diejenigen, welche seit dem 1.1.2020 gelten, zur Anwendung gelangen. Gemäss der gesetzlichen Übergangsbestimmung ist jeweils diejenige Frist massgebend, nach welcher der Gläubiger noch länger Zeit hat, um seinen Schaden geltend zu machen.

Für die übrigen Bestimmungen des neuen Verjährungsrechts wie z. B. die Änderungen bezüglich des Verjährungsverzichts oder die neuen Hemmungsgründe gilt, dass diese ab dem 1.1.2020 in Kraft getreten und somit ab sofort anwendbar sind.

 

7. Auswirkungen des neuen Verjährungsrechts auf den Alltag

Grundsätzlich gibt es in der Schweiz keine einheitlichen Regeln, wie lange Akten, insbesondere auch durch Gesellschaften, aufzubewahren sind. Bis jetzt lauteten die Empfehlungen dahingehend, dass wichtige Dokumente während mindestens zehn Jahren archiviert werden sollen. Da neu für Personenschäden eine absolute Verjährungsfrist von zwanzig Jahren gilt, wird es in Zukunft sinnvoll sein, gesundheitsrelevante Daten zwanzig Jahre und nicht mehr nur zehn Jahre aufzubewahren.

Weiter dürfte es aufgrund der geschilderten Gesetzesrevision angebracht sein, bestehende Verträge und vor allem auch standardmässig verwendete allgemeine Vertragsbedingungen (AVB) zu überprüfen und den neuen Regeln entsprechend anzupassen.

Bereits laufende Verjährungsfristen sollten ebenfalls einer Prüfung unterzogen werden. Insbesondere ist mit Blick auf die gesetzliche Übergangsbestimmung im Einzelfall zu beurteilen, wann die jeweilige Verjährungsfrist nun enden wird.

 

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