Initial Coin Offering und Token im Lichte der Schweizer Finanzmarktgesetzgebung

Die blockchainbasierte Kapitalbeschaffungsform des Initial Coin Offering (ICO) birgt vielversprechende Chancen und Möglichkeiten für innovative Startups und ambitionierte Investoren. Regulatoren, Aufsichtsbehörden und Gesetzgeber wiederum, stellt die digitale Alternative zum Börsengang vor neue Herausforderungen.Autor: lic. iur. HSG Tihomir Katulic
Initial Coin Offering und Token im Lichte der Schweizer Finanzmarktgesetzgebung

Mit seinem White Paper zur Blockchain oder Distributed Ledger Technologie (DLT) hat der unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto bekannte Erfinder der Kryptowährung Bitcoin die nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzwelt erschüttert. DLT-basierte Geschäftsmodelle haben sich in den vergangenen Jahren zusehends gemehrt. Während diese aufregenden technischen Innovationen zahllose ökonomische Chancen versprechen, werfen sie unter juristischen Gesichtspunkten neue Fragestellungen auf.

 

Initial Coin Offering (ICO) als Chance für Startups

Aus der Blockchain-Technologie wurde die Idee des Initial Token Offering (ITO) oder Initial Coin Offering (ICO) geboren. Das Verfahren ist nicht nur in begrifflicher Hinsicht an das Initial Public Offering (IPO) angelehnt, sondern gleicht auch in seiner Zweckbestimmung einem Börsengang. Während herkömmliche IPOs in der Regel von etablierten Unternehmen durchgeführt werden, die seit mehreren Jahren erfolgreich am Markt tätig sind, zielen ICOs auf Startups in ihren frühesten Entwicklungsphasen ab. Bei einem ICO stellen Investoren einem Unternehmen, dem ICO-Organisator, Kapital, in der Regel in Form von Kryptowährungen, zur Verfügung. Im Gegenzug erhalten die Anleger einen digital abgebildeten Vermögenswert, den Token, der je nach Art und Eigenschaften unterschiedliche Funktionen erfüllt.

 

Finanzierungsoase oder Innovationsblase

Der ICO ist für Startups und Investoren gleichermassen interessant. Einerseits erlaubt der ICO innert kurzer Zeit die Beschaffung hoher Kapitalsummen zu geringen Kosten, andererseits verspricht die effiziente Abwicklung ohne Intermediäre via Blockchain Liquidität und Transparenz. Für die involvierten Parteien ist ein ICO aber auch nicht ohne Risiko. Gerade weil er die Kapitalbeschaffung bereits in frühesten Stadien von Innovationsprojekten erlaubt, sehen sich Anleger mit signifikanten Verlustrisiken konfrontiert. Weil die Regulierung von Token noch immer Neuland ist, bestehen zudem auch ernstzunehmende Betrugsgefahren.

 

Ansatz der Schweizer Finanzmarktaufsicht

Aufgrund zahlreicher Berührungspunkte zwischen ICOs und dem geltenden Finanzmarktrecht sehen sich ICO-Organisatoren ebenso wie Aufsichtsbehörden, Prüfgesellschaften und Juristen mit komplexen regulatorischen Fragen konfrontiert. Im Bestreben den Rechtsrahmen abzustecken und die Vorreiterrolle der Schweiz im Bereich der DLT-Technologien zu stärken, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Gesetzesänderungen in Kraft gesetzt. Bereits 2018 hat ausserdem die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht («FINMA») eine Wegleitung für Unterstellungsfragen betreffend ICOs publiziert.

National sowie auch international besteht bis dato keine allgemein anerkannte Klassifizierung von ICOs und den in deren Rahmen ausgegebenen Token. Die FINMA verfolgt in ihrer Qualifikation der Token einen wirtschaftlichen Ansatz und unterscheidet anhand ihrer Funktion drei Arten von Token: Zahlungs-Token, Nutzungs-Token sowie Anlage-Token.

 

Zahlungs-Token

Als Zahlungs-Token gelten all jene Token, die tatsächlich oder der Absicht des Organisators nach als Zahlungsmittel für den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen akzeptiert werden oder der Geld- und Wertübertragung dienen sollen. Im Grundsatz entsprechen die Zahlungstoken den Kryptowährungen.

 

Nutzungs-Token

Der Kategorie der Nutzungs-Token werden sämtliche Token zugeordnet, die Zugang zu einer digitalen Nutzung oder Dienstleistung vermitteln sollen, welche auf oder unter Benutzung einer Blockchain Infrastruktur erbracht werden.

 

Anlage-Token

Zu den Anlage-Token gehören schliesslich diejenigen Token, die Vermögenswerte repräsentieren. Vom Begriff des Anlage-Token erfasst werden insbesondere Token, welche eine schuldrechtliche Forderung gegenüber dem Emittenten oder ein Mitgliedschaftsrecht im gesellschaftsrechtlichen Sinne begründen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Token physische Wertgegenstände wie Aktien, Immobilien oder Luxusgüter auf der Blockchain abbilden und handelbar machen.

Die Grenzen zwischen den einzelnen Arten von Token sind fliessend, weshalb auch die Option hybrider Token besteht und die Qualifikation jeweils mit Blick auf den Einzelfall vorgenommen werden muss.

 

Anwendbarkeit des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (FinfraG)

Die Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung regelt unter anderem die Verhaltens- und Organisationspflichten der Finanzmarkteilnehmer beim Effektenhandel. Mit den Regulierungen soll sichergestellt werden, dass Marktteilnehmer ihre Anlageentscheide anhand verlässlicher Mindestinformationen treffen sowie einen fairen, zuverlässigen Handel mit effizienter Preisbildung gewährleisten.

Geschäftsmodelle zum multilateralen Handel oder der Abwicklung von Effekten, die auf der DLT-Technologie basieren, können derzeit auf zwei unterschiedliche Arten bewilligt werden. Einerseits im herkömmlichen Bewilligungskleid als Börse oder Zentralverwahrer und andererseits in Form der durch die Revision des FinfraG neu geschaffenen Institution des DLT-Handelssystems.

In Hinblick auf die Qualifikation als Börse oder Zentralverwahrer macht die FINMA die Anwendbarkeit des FinfraG von der Qualifikation eines Tokens als Effekte abhängig. Unter Effekten werden in diesem Zusammenhang vereinheitlichte und zum massenweisen Handel geeignete Wertechte im Sinne des Gesetzes verstanden (Art. 2 Bst. b FinfraG). Die in der Lehre strittige Effektenqualität von Zahlungs-Token wird von der FINMA mit Blick auf die Natur der Token als Zahlungsmittel verneint. Ebenso wenig qualifizierten Nutzungs-Token als Effekten, da sie primär Zugang zu einer digitalen Dienstleistung vermitteln sollen und es ihnen folglich am für Effekten typischen Kapitalmarktbezug mangelt. Anlage-Token werden demgegenüber unter den Begriff der Effekten subsumiert, wenn Sie ein Wertrecht oder Derivat repräsentieren und zum massenweisen Handel geeignet sind.

Als DLT-Handelssystem bewilligungspflichtig ist, wer eine gewerbsmässig betriebene Einrichtung zum multilateralen Handel von DLT-Effekten i.S.v. Art. Art. 2 Bst. bbis FinfraG betreibt. Unter dem Begriff der DLT-Effekten werden dabei Effekten in Form von Registerwertrechten (Art. 973d OR) oder anderen Wertrechten, die in verteilten elektronischen Registern gehalten werden und die mittels technischer Verfahren den Gläubigern, nicht aber dem Schuldner, die Verfügungsmacht über das Wertrecht vermitteln, verstanden.

Während die klassische Bewilligung als Börse oder Zentralverwahrer nur das Angebot gegenüber beaufsichtigten Finanzmarktinstituten erfasst, können DLT-Handelssysteme unter bestimmten Voraussetzungen ihre Dienstleistungen gegenüber Endkunden anbieten.

Die FINMA hat mit der SDX Trading AG (Börse) sowie der SIX Digital Exchange AG (Zentralverwahrerin) im Herbst 2021 erstmals zwei Finanzmarktinfrastrukturen, die den Handel mit Token ermöglichen, bewilligt.

 

Anwendbarkeit des Finanzdienstleistungsgesetzes (FIDLEG)

Wer in der Schweiz ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Effekten unterbreitet oder wer um Zulassung von Effekten zum Handel auf einem Handelsplatz ersucht, hat vorgängig einen Prospekt zu veröffentlichen. Diese im FIDLEG verankerte Verpflichtung hat die obligationenrechtliche Prospektpflicht abgelöst. Die FINMA hat in ihrer Wegleitung diesbezüglich ausgeführt, dass die Frage der Prospektpflicht für Token ebenfalls von der Qualifikation als Effekte abhängt. Der Gesetzgeber hat sodann festgehalten, dass die Bestimmungen über den Prospekt für die Zulassung von DLT-Effekten sinngemäss gelten (Art. 35 Abs. 1bis FILDEG).

 

Anwendbarkeit des Bankengesetzes (BankG)

Die Bankengesetzgebung bezweckt vordergründig den Schutz des Publikums, insbesondere ihrer Einlagen. Entsprechend verbietet das BankG die gewerbsmässige Entgegennahme von Publikumseinlagen durch Personen, die über keine Bankenbewilligung verfügen (Art. 1 Abs. 2 BankG). Weil die reine Ausgabe von Token üblicherweise nicht mit Rückzahlungsforderungen gegenüber dem ICO-Organisator verbunden ist, werden Token vom Einlagenbegriff in der Regel nicht erfasst. Entsprechend besteht keine Bewilligungspflicht nach BankG.

 

Anwendbarkeit des Geldwäschereigesetz (GwG)

Die Geldwäschereigesetzgebung zielt auf den Schutz des Finanzsystems in seiner Gesamtheit vor Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung ab. Dem GwG unterstellt sind Finanzintermediäre, insbesondere Zentralverwahrer und DLT-Handelssysteme (Art. 2 Abs. 2 Bst. dbis und dquater). Finanzintermediär ist auch, wer Dienstleistungen für den Zahlungsverkehr erbringt und namentlich Zahlungsmittel ausgibt oder verwaltet (Art. 2 Abs. 3 Bst. b GwG). In Zusammenhang mit dieser erweiterten Definition des Finanzintermediärs werden virtuelle Währungen explizit erwähnt (Art. 4 Abs. 1 bis Bst. c und Abs. 2 GwV).

Die Wegleitung der FINMA hält sodann fest, dass es sich beim im Rahmen eines ICO ausgegebenen Zahlungs-Token – wie es der Name bereits vermuten lässt – um unterstellungspflichtige Zahlungsmittel handelt, sobald die Token auf einer Blockchain-Infrastruktur übertragen werden können. Dies kann bereits im Zeitpunkt des ICO selbst oder später der Fall sein. Auch Nutzung-Token begründen grundsätzlich eine GwG-Pflicht. Im Einzelfall kann diese ausser Betracht fallen, wenn die Ausgabe der Token hauptsächlich den Zugang zu einer Nutzung der Blockchain für Zwecke ausserhalb des Finanzbereichs ermöglichen soll. Anlage-Token fallen nicht unter die Begriffsdefinition eines Zahlungsmittels und begründen daher keine Unterstellungspflicht.

 

Anwendbarkeit des Kollektivanlagegesetz (KAG)

Das Kollektivanlagerecht soll Anleger schützen sowie Transparenz und Funktionsfähigkeit des Marktes sicherstellen. Die Bestimmungen sind nur dann einschlägig, wenn die im Rahmen des ICO entgegengenommenen Mittel fremdverwaltet werden.

Im Sinne eines praxisorientierten Ansatzes ist Unternehmen, die sich mit regulatorischen Fragestellungen im Rahmen eines ICO konfrontiert sehen, eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Berater sowie der FINMA empfohlen.    

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