Optimale Nachlassplanung bei Nachkommen mit geistiger Behinderung

Für Eltern eines Kindes mit einer geistigen Behinderung, welches dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist, stellt die Nachlassplanung eine grosse Herausforderung dar. Dabei haben Eltern von behinderten Kindern oft dieselben Ziele. Sie wollen für das behinderte Kind vorsorgen und seine Lebensqualität sicherstellen, da das behinderte Kind die eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse in der Regel gar nicht bzw. nur beschränkt aus eigenen Kräften wird befriedigen können. Ein weiteres Anliegen ist häufig jedoch auch das Familienvermögen, insbesondere zugunsten weiterer Kinder, zu schützen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die Nachlassplanung mit Kindern mit geistiger Behinderung, deren Urteilsfähigkeit und damit deren Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt bzw. im Extremfall vollständig aufgehoben ist. Es sollen dabei die Herausforderungen und einige Lösungsansätze aufgezeigt werden.Autor: MLaw UZH Ivana Zeba
Optimale Nachlassplanung bei Nachkommen mit geistiger Behinderung

Mögliche Herausforderungen bei der Nachlassplanung

Kinder mit einer geistigen Behinderungen beerben ihre Eltern grundsätzlich genau gleich wie Nachkommen ohne Behinderung. Die aktive Erbfähigkeit setzt nämlich gemäss Art. 539 Abs. 1 ZGB bloss die Rechtsfähigkeit voraus. Bei der Planung haben die Eltern jedoch einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Dazu gehören vor allem:

  • Durch die geistige Behinderung ist grundsätzlich die Urteilsfähigkeit und damit die Geschäftsfähigkeit des Kindes eingeschränkt bzw. vollständig aufgehoben. Oft steht das behinderte Kind unter einer Beistandschaft, welche durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde errichtet worden ist.
  • Des weiteren kommen Erbverträge, welche mit allen Erben abgeschlossen werden sollen und den Eltern eine grosse Flexibilität im Hinblick auf die Verteilung des Nachlasses bieten können, mit dem behinderten Kind aufgrund seiner eingeschränkten bzw. fehlenden Urteilsfähigkeit nicht in Betracht.
  • Die fehlende Urteilsfähigkeit führt zudem dazu, dass das behinderte Kind sodann über seinen eigenen Nachlass nicht frei verfügen kann. Aufgrund der Höchstpersönlichkeit der öffentlichen letztwilligen Verfügungen gilt bei urteilsunfähigen Erblassern zwingend die Intestaterbfolge, sprich die gesetzlich vorgesehene Erbfolge. Bei der Planung ist somit auch zu berücksichtigen, wohin das Vermögen nach dem Versterben des behinderten Kindes fliesst bzw. fliessen soll.
  • Zudem erhält das behinderte Kind in der Regel Sozialversicherungsleistungen. Bei der Planung sind diese Leistungen miteinzubeziehen, da z.B. bei der Anspruchsberechtigung von Ergänzungsleistungen das Vermögen des Betroffenen eine grosse Rolle spielt.

 

Gestaltungsmöglichkeiten und Planungsziele

Zunächst ist es wichtig, dass sich die Eltern unter Berücksichtigung ihrer Familien- und Vermögenskonstellation überlegen, welche Ziele sie mit der Nachlassplanung verwirklichen wollen. Oft wünschen sich die Eltern das behinderte Kind, aufgrund seiner oft beschränkten Möglichkeiten selbst für sich sorgen zu können, maximal begünstigen zu können. Umgekehrt kann es auch ein berechtigtes Ziel der Eltern sein, die gesunden Kinder maximal zu begünstigen bzw. bestimmte Vermögenswerte den gesunden Kindern zu überlassen (z.B. Unternehmen etc.). Nachfolgend sollen einige Planungsziele, deren Gefahren sowie einige mögliche Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

 

a) Meistbegünstigung behindertes Kind

Wollen die Eltern z.B. das behinderte Kind wirtschaftlich maximal begünstigen, laufen sie Gefahr, dass dieses gar nicht in den Genuss der Zuwendung kommt, da aufgrund des geerbten Vermögens allfällige Sozialversicherungsleistungen gekürzt werden könnten und das Kind somit die Kosten für seine Pflege und Betreuung unter Einsatz seines Vermögens zumindest teilweise selbst tragen müsste. Dies ist insbesondere beim Anspruch auf Ergänzungsleistungen der Fall. Das Vermögen des behinderten Kindes wird bei der Berechnung allfälliger Ergänzungsleistungen berücksichtigt und kann insbesondere bei grossen Vermögen dazu führen, dass der Anspruch verloren geht. Für das behinderte Kind das erbt, heisst dies, dass sein Vermögen für Leistungen aufgebraucht wird, welche ohne das Erbe durch Leistungen der Sozialversicherung übernommen würden und das Kind somit aus dem Erbe keine finanziellen Vorteile ziehen kann. Die Erbschaft ergänzt in diesem Fall die staatlichen Leistungen nicht, sondern substituiert diese. Für Wünsche und Bedürfnisse des behinderten Kindes, welche zu Lebzeiten von den Eltern getragen wurden, bleibt dann oft kein Platz mehr. Das Kind ist somit nach dem Tod der Eltern oft finanziell schlechter gestellt, obwohl es geerbt hat. Diese Ungerechtigkeit soll anhand einer frühzeitigen Nachlassplanung so gut wie möglich vermieden werden. Die Meistbegünstigung der gesunden Kinder hat somit meistens keine verwerflichen Gründe, sondern kann sogar Mittel dazu sein, die Lebensqualität des behinderten Kindes zu verbessern.

 

b) Zuteilung bestimmter Vermögenswerte

Die Eltern haben oft den Wunsch, bestimmte Vermögenswerte an die gesunden Kinder oder Dritte zu übertragen. Dies ist oft im Zusammenhang mit Unternehmensnachfolgen der Fall. Umgekehrt kann auch ein Wunsch der Eltern sein, das Familienhaus, welches den Bedürfnissen des behinderten Kindes entsprechend gebaut wurde, dem behinderten Kind zu überlassen. Um jedoch auch in diesem Fall den grösstmöglichen Nutzen für das behinderte Kind zu ziehen, insbesondere eine allfällige Kürzung von Sozialversicherungsleistungen zu verhindern, können erbrechtliche Planungsinstrumente wie z.B. die Nutzniessung zugunsten des behinderten Kindes am Familienhaus in Betracht gezogen werden. Das Familienhaus wird an die gesunden Nachkommen übertragen, belastet mit einer Nutzniessung zugunsten des behinderten Kindes. Dieses kann die Liegenschaft unbeschränkt nutzen, der Wert der Liegenschaft wird ihm jedoch nicht als Vermögen angerechnet. Bei der Übertragung von Unternehmen oder Liegenschaften, welche in der Regel einen grossen Teil des gesamten Vermögens bilden, ist die Pflichtteilsproblematik im Auge zu behalten. Der Pflichtteil für einen Nachkommen beträgt in der Schweiz drei Viertel des gesetzlichen Erbteils (Art. 471 ZGB). Dies dürfte sich jedoch mit der aktuellen Erbrechtsrevision, welche voraussichtlich 2022 in Kraft treten soll, ändern. Die Pflichtteile der Kinder sollen neu einen Zweitel des gesetzlichen Erbteils betragen, was zu begrüssen ist, da dem Erblasser dadurch ein grösserer Handlungsspielraum betreffend seinen Nachlass gewährt wird. Eine Verletzung des Pflichtteils wird zwar nicht von Amtes wegen berücksichtigt, sondern muss mit der Herabsetzungsklage angefochten werden (Art. 522 ff. ZGB). Eine pflichtteilsverletzende Verfügung kann somit grundsätzlich Bestand haben. Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde für das behinderte Kind im Hinblick auf die Erbteilung eine Beistandschaft errichten wird, sofern noch keine solche besteht bzw. sofern der aktuelle Beistand selbst am Nachlass beteiligt ist. Dieser wird wohl in Vertretung des urteilsunfähigen, verbeiständeten Kindes nach Einholung der erforderlichen Genehmigung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde gemäss Art. 416 Abs. 1 Ziff. 9 ZGB die Herabsetzungsklage ergreifen. Dies auch aus dem Grund, dass bereits der Verzicht auf die Anhebung der Herabsetzungsklage grundsätzlich einen Vermögensverzicht im Sinne des Sozialversicherungsrecht darstellt, was wiederum zur Kürzung der Sozialversicherungsleistungen führen könnte.

 

c) Meistbegünstigung gesunder Kinder bzw. Zuteilung der freien Quote

Die Eltern haben die Möglichkeit, das behinderte Kind auf den Pflichtteil zu setzen und den übrigen Nachlass auf die gesunden Kinder zu verteilen. Das Kind wird aufgrund seiner fehlenden Urteilsfähigkeit das Vermögen wohl nicht selbst verwalten können, weshalb grundsätzlich ein Vermögensverwaltungsbeistand errichtet wird. Das Kind kann somit nicht frei entscheiden, was mit dem erhaltenen Vermögen geschehen soll, womit seine Bedürfnisse in vielen Fällen gar nicht berücksichtigt werden. Diesbezüglich lohnt es sich, in der letztwilligen Verfügung eine Person zu ernennen, welche die Vermögensverwaltung des behinderten Kindes übernehmen soll. Dieser können Auflagen erteilt werden, wie das Vermögen sodann zu verwenden ist. Dies kann z.B. auch dahingehend erfolgen, dass die Eltern das behinderte Kind auf den Pflichtteil setzen, gleichzeitig die freie Quote einer anderen Person, oft wohl, sofern vorhanden, einem weiteren Kind, zuwenden, mit der Auflage dieses Vermögen zugunsten des behinderten Kindes bzw. Geschwisters zu verwenden. Wird die freie Quote einer Drittperson, das heisst nicht einem Nachkommen zugewendet, sind die steuerrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Im Kanton St.Gallen beträgt die Erbschaftssteuer bis zu 30%, wenn Zuwendungen an Drittpersonen getätigt werden.

 

d) Enterbung des behinderten Kindes

Aufgrund der bereits vorstehend ausgeführten Tatsache, dass das behinderte Kind oft Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen hat, überlegen sich manche Eltern, das behinderte Kind zu enterben, um den Zugriff des Staates auf den Nachlass auszuschliessen. Da jedoch das behinderte Kind, wie bereits vorstehend ausgeführt, einen Anspruch auf seinen Pflichtteil hat, wird derBeistand diesen in Vertretung des behinderten Kindes auch geltend machen, womit eine Enterbung in den meisten Fällen keinen Bestand haben wird.

 

e) Nacherbeinsetzung gemäss Art. 492a ZGB

Eltern behinderter Kinder, deren Urteilsfähigkeit beschränkt bzw. vollkommen aufgehoben ist, sollen sich ebenfalls Überlegungen dazu machen, an wen das Vermögen nach dem Tod des behinderten Kindes gelangen soll. Das schweizerische Erbrecht sieht in Art. 492a ZGB das Instrument der Nacherbeinsetzung auf den Überrest vor, mit welchem die Eltern behinderter Kinder verhindern können, dass das Vermögen an eine von ihnen ungewünschte Person fällt. Im schweizerischen Erbrecht herrscht nämlich die Maxime der Höchstpersönlichkeit der Verfügungen von Todes wegen. Dies bedeutet, dass der Erblasser persönlich handeln muss und eine Vertretung in der Willensbildung und Willenserklärung im Rahmen der Errichtung einer letztwilligen Verfügung ausgeschlossen ist. Dabei wird im Erbrecht der Nachlass eines Kindes mit geistiger Behinderung, dessen Urteilsfähigkeit im Hinblick auf die Errichtung einer letztwilligen Verfügung dauernd aufgehoben ist, wie bereits oben ausgeführt zwingend nach den Regeln über die Intestaterbfolge vererbt. Damit das Familienvermögen nach dem Tod des behinderten Kindes nicht an Personen gelangt, welche von dessen Eltern nicht bedacht werden möchten, können diese gemäss Art. 492a Abs. 1 ZGB, sofern das dauernd urteilsunfähige Kind weder Nachkommen noch einen Ehegatten hinterlässt, eine Nacherbeinsetzung auf den Überrest anordnen. Damit können die Eltern und Erblasser z.B. sicherstellen, dass das Vermögen in der Familie bleibt oder dieses auch einer Person bzw. einer Institution zuwenden, welche sich nach oder bereits vor dem Ableben der Eltern um das behinderte Kind kümmerte und dieses unter Umständen Jahre lang pflegte.

Fazit

Es lässt sich somit grundsätzlich festhalten, dass die Eltern eines behinderten Kindes bei der Nachlassplanung in erster Linie das Ziel haben, das Vermögen fair auf alle Kinder zu verteilen. Wie diese faire Verteilung verwirklicht werden kann, hängt von der konkreten Situation und den vorhandenen erbrechtlichen Instrumenten ab. In jedem Fall sollte sichergestellt werden, dass das behinderte Kind bestmöglich von seinem Erbteil profitieren kann. Die Nachlassplanung sollte somit derart ausgestaltet werden, dass das Nachlassvermögen nicht für die Finanzierung des gewöhnlichen Lebensunterhalts des Kindes verzehrt wird, sondern diesem die sozialversicherungsrechtlichen Leistungen erhalten bleiben. Das Nachlassvermögen sollte somit dazu verwendet werden können, besondere, nicht von der Sozialversicherung gedeckte Ausgaben zu finanzieren. In jedem Fall sollten Eltern mit behinderten Kindern ihre Nachlassplanung schon früh an die Hand nehmen und sich darüber Gedanken machen, welche Planungsziele für sie im Vordergrund stehen. Eine Regelung gibt Sicherheit, dass im Todesfall alles gemäss ihren Wünschen und Vorstellungen abläuft und die Bedürfnisse sowohl des behinderten Kindes als auch der gesunden Kinder optimal berücksichtigt werden. Zudem haben die Eltern auch die Möglichkeit, sicherzustellen, dass das Vermögen nach dem Tod des behinderten Kindes an Personen oder Institutionen gelangt, die die Eltern auch begünstigen möchten.

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