Persönlichkeitsschutz im digitalen Zeitalter

Schutz ist dort zu errichten, wo die Gefahr einer Verletzung besteht. Dass es sich beim geschützten Gut nicht immer um ein körperliches handeln muss, hat der Schweizer Gesetzgeber längst erkannt und deshalb auch die Persönlichkeit – «das unteilbare und ungreifbare Wesen» des Menschen «mit seiner Würde und Freiheit»1 – unter Schutz gestelltAutor: MLaw Kathrin Feusi-Biedermann
Persönlichkeitsschutz im digitalen Zeitalter

 

Unterschiedliche Ansichten zu Grundprinzipien, Moral und Ehre lassen die Emotionen in der Regel hochkochen. Sehr pointierte und wertende Äusserungen können die Folge sein. Der Ausdruck von Ansichten und Beobachtungen – früher womöglich gestenreich am Stammtisch oder in privater Runde diskutiert – verlagert sich seit der digitalen Revolution in die vermeintliche Anonymität des Internets. Gleichsam mit dem Wandel von Print- zu Onlinemedien hat sich auch der ursprüngliche Leserbrief zur Kommentarspalte im Nachgang zu digitalen Medienbeiträgen entwickelt. Der Verfasser eines Kommentars wird mit einem schnellen und möglicherweise unüberlegten Klick zum eigenen Herausgeber. Diese Publikationsfreiheit nutzen neben den Kommentatoren von Online-Zeitungen auch die User von sozialen Medien, wie Facebook, Instagram und Twitter oder dergleichen. Der technische und gesellschaftliche Wandel wirft die Frage auf, ob das geltende Recht den Persönlichkeitsschutz im Internet genügend gewährleistet oder ob es einer Anpassung bedarf.

 

Selbst ernannte «Richter»

Das Internet verleiht allen Nutzungswilligen ungehindert eine Stimme. Diese «Demokratie des Internets» führt oft zum Trugschluss, im Internet sei alles erlaubt. Das ist falsch. Eine ehrverletzende Äusserung im Netz ist rechtlich relevant. Dazu folgendes fiktives Beispiel einer Persönlichkeitsverletzung: Ein digitales Magazin schreibt über die aussereheliche Affäre der Ausländerin A., die mit dem Schweizer Politiker B. verheiratet ist. Der aufgebrachte Herr Schweizer urteilt dazu in der dem Beitrag angehängten Kommentarspalte, es sei ja klar gewesen, dass man einer Ausländerin nicht trauen könne. Er habe selbst auch nur schlechte Erfahrungen mit solchen «verdammten Betrügerinnen» wie A. gemacht. Solche «Schmarotzer» hätten in der Schweiz nichts zu suchen und seien auszuschaffen.

Ein anderes Beispiel: Der Kantonsschüler S. erhält in der mündlichen Maturaprüfung von Lehrer L. eine ungenügende Note. Auf seinem für Freunde einsehbaren Facebook-Profil verfasst S. einen Beitrag, in dem er Lehrer L. als «Riesenarschloch» bezeichnet und dessen Mobiltelefonnummer aufführt zusammen mit dem Aufruf, L. in der Nacht anzurufen.

 

Internet – kontaktlos aber nicht rechtsfrei

Die «literarische Freiheit» des Internets ist nicht konsequenzenlos. Aus
rechtlicher Sicht gilt es hierbei insbesondere zu beachten, dass der Schweizer Gesetzgeber keinen Unterschied macht, ob eine Persönlichkeitsverletzung mündlich oder schriftlich erfolgt. Massgebend ist, dass der Betroffene individualisierbar ist. Dieser muss einerseits sich selbst erkennen und andererseits auch durch Dritte erkennbar sein. Die ehrverletzende Äusserung muss also öffentlich erfolgen. Das World Wide Web ist eben genau das: weltweit und öffentlich. Die Nutzer verkennen häufig, welche Reichweite ein digital veröffentlichter Beitrag haben kann. Das Internet stellt keinen rechtsfreien Raum dar.

 

Das World Wide Web ist eben genau das: weltweit und öffentlich.

 

Der fehlende persönliche Kontakt, eine Flut von Beiträgen oder auch die Verwendung von Pseudonymen kann eine vermeintliche Anonymität schaffen. Diese schützt aber nicht vor einer rechtlichen Verfolgung. Die Anonymität im Internet existiert nicht. Mittels IP-Adresse bzw. mittels des digitalen Fingerabdrucks kann mindestens zurückverfolgt werden, von welchem PC eine persönlichkeitsverletzende Aussage veröffentlicht wurde. Insofern ist die Veröffentlichung von Beiträgen im Internet gar risikoreicher als eine mündliche Aussage, da man Beweise schwarz auf weiss schafft. Für böse Überraschungen kann auch sorgen, dass Ironie in schriftlicher Form oft schwieriger als solche erkennbar ist. Gegenspieler des Vorteils des schriftlichen Beweises ist die Flüchtigkeit des Internets. Das bedeutet, dass Beiträge in der Regel ebenso schnell, wie sie hochgeladen wurden, wieder entfernt werden können. Aber trotz
Entfernung des Beitrages sind dessen Nachwirkungen unkontrollierbar, da auf das vorgängige Teilen oder Downloaden des Beitrages kein Einfluss genommen werden kann.

 

Persönlichkeitsverletzung – und jetzt?

Ob eine Äusserung persönlichkeitsverletzend ist, lässt sich nicht anhand eines Katalogs feststellen, sondern wird durch das Ermessen des Richters bestimmt. Dabei hat der Richter die angeklagte Persönlichkeitsverletzung objektiv zu prüfen, das heisst, massgebend ist, wie die zu beurteilende Äusserung von einem durchschnittlichen Dritten verstanden wird.

Aufgrund der Flüchtigkeit des Internets gilt es, beim Entdecken von potenziellen Rechtsverletzungen sofort mögliche Beweise zu sichern, indem zum Beispiel Screenshots oder Fotos vom verletzenden Inhalt erstellt werden und darüber Protokoll geführt wird. Wie weiter vorgegangen werden soll, richtet sich nach dem zu erreichenden Ziel. Hat die Löschung des persönlichkeitsverletzenden Inhalts Priorität? Wird eine Richtigstellung gewünscht? Oder soll gar Schadenersatz oder Genugtuung verlangt werden?

In der Regel ist es nicht empfehlenswert, den Verletzenden direkt, zum Beispiel über die Antwort-Funktion einer Kommentarspalte, zur Rede zu stellen. Dies kann die Diskussion umso mehr anheizen und möglicherweise zu weiteren Persönlichkeitsverletzungen führen. Besser ist es, die Missbrauchsmeldungs-Funktion zu nutzen, welche die meisten Betreiber von Foren und sozialen Medien zur Verfügung stellen. Diese Funktion bietet die Möglichkeit, einen Regelverstoss zu melden. Es bleibt in diesem Fall jedoch in der Entscheidungsgewalt des privaten Betreibers, ob und wann der verletzende Inhalt gelöscht wird. Eine zwangsweise Löschung lässt sich nur mit einem rechtskräftigen Gerichtsurteil durchsetzen.

Zusätzlich oder alternativ zur aussergerichtlichen Vorgehensweise, können auch rechtliche Mittel gegen eine Persönlichkeitsverletzung ergriffen werden. Das Zivilgesetz bietet hierfür in Art. 28a Abs. 1 ZGB verschiedene Vorgehensmöglichkeiten an: Mit dem Unterlassungsbegehren gemäss Ziffer 1 kann eine drohende persönlichkeitsverletzende Äusserung vorsorglich verboten werden. Mit dem Beseitigungsbegehren gemäss Ziffer 2 kann verlangt werden, dass bereits veröffentlichte persönlichkeitsverletzende Inhalte gelöscht werden. Mit dem Feststellungsbegehren gemäss Ziffer 3 kann man schliesslich gerichtlich feststellen lassen, dass eine bestimmte Äusserung widerrechtlich ist. Dabei kann das Gericht allerdings nur eine Verletzung, nicht aber den Wahrheitsgehalt einer Aussage feststellen. Die gerichtliche Feststellung kann als Mittel zur Beseitigung einer Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB dienen; dies insbesondere, wenn die Störung fortdauert. Die höchstrichterliche Rechtsprechung bejaht das Fortdauern einer Störung, wenn die
in der Vergangenheit liegende Verletzungshandlung einen Zustand geschaffen hat, der geeignet ist, den Verletzten weiterhin in seinen persönlichen Verhältnissen zu treffen. Dies ist etwa der Fall, wenn die verletzenden Äusserungen später erneut Dritten bekannt gegeben werden können.8 Bei besonderer Dringlichkeit können die vorgenannten Begehren auch superprovisorisch beantragt werden. Ausserdem
können ergänzend Schadenersatz und Genugtuung verlangt werden. Die Genugtuung muss dabei nicht zwingend finanziell erfolgen. Beispielsweise kann auch die Publikation des Entscheids oder einer Gegendarstellung als eine Art Genugtuung wirken.

Im Zusammenhang mit digitalen Beiträgen dürfte sich das gerichtliche Vorgehen gegen eine Persönlichkeitsverletzung vor allem dann lohnen, wenn eine Wiederholung der Verletzung droht. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein kompromittierendes Video auf Facebook bereits vom ursprünglichen Verletzer entfernt wurde, jedoch aufgrund der zwischenzeitlich erreichten Popularität jederzeit mit dem erneuten Hochladen des Videos durch eine Drittperson, welche das Video vor der Löschung lokal gespeichert hat, zu rechnen ist. Zudem gilt es zu beachten, dass das Zusenden eines kompromittierenden Inhalts nicht die
Zustimmung zu dessen Weiterverbreitung bedeutet. Das Weiterleiten eines vermeintlich «lustigen Videos» kann durchaus rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Bei der Abwägung, ob rechtliche Mittel ergriffen werden sollen, gilt es zudem Folgendes zu beachten: Erstens, ein Prozess dauert. Von der Verletzung bis zur Untersagung oder gar Bestrafung können je nach Verfahrensart mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate vergehen. Zweitens, ein Prozess kostet. Das Gericht wird vom Kläger einen Kostenvorschuss verlangen. Zudem verbleibt ein Kostenrisiko beim Kläger für den Fall des (teilweisen) Unterliegens im Prozess. Drittens, wer seine Persönlichkeitsrechte wahrnehmen will, muss selbst tätig werden. Das Gericht verfolgt Persönlichkeitsverletzungen nicht von Amtes wegen. Viertens, Verhandlungen sind in der Regel öffentlich und somit auch den Medien zugänglich. Mit einem Gerichtsverfahren riskiert man, dass eine Sache, über die bereits Gras gewachsen ist, erneut in den Fokus der Öffentlichkeit rückt und vor Gericht erneut schmutzige Wäsche gewaschen wird.

Alternativ oder kumulativ zum Zivilweg steht dem Verletzten auch der strafrechtliche Weg offen. Neben den Ehrverletzungsdelikten gemäss den Artikeln 173 ff. des Strafgesetzbuches, können allenfalls auch weitere Straftatbestände, wie beispielsweise die Rassendiskriminierung12 erfüllt sein. Hauptsächliches Strafmittel bei Ehrverletzungsdelikten ist die Geldstrafe. Im Falle der Verleumdung kann an deren

Stelle auch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ausgesprochen werden.

 

Fazit

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die aktuelle Gesetzgebung grundsätzlich auch Persönlichkeitsverletzungen, welche im Internet stattfinden, umfasst. Das Vorhandensein der Schutzmöglichkeit ist allerdings nicht mit der Schutzwirksamkeit gleichzusetzen. Der Persönlichkeitsschutz steht im digitalen Zeitalter vor der grossen Herausforderung der Diskrepanz zwischen dem Verfahrenstempo der Justiz und der Flüchtigkeit und Schnelllebigkeit des Internets. Deshalb gilt, dass Prävention der wirksamste Schutz gegen Persönlichkeitsverletzungen im Internet ist. Als Faustregel kann gelten, dass nichts veröffentlicht werden sollte, was man nicht auch laut im Bus erzählen oder zeigen würde. Sind Worte einst in die Öffentlichkeit geboren, haben sie ihr unberechenbares Eigenleben. Im weltweiten Netz gilt dies umso mehr.    

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