Drängeln auf der Autobahn – nicht so schlimm, oder doch?
Als Autofahrer wird Ihnen die folgende Situation bekannt vorkommen: Sie fahren auf der Überholspur, da erscheint plötzlich ein Sportwagen im Rückspiegel – mit nur wenigen Metern Abstand, dicht an Ihrem Heck. Umgekehrt haben Sie sich vielleicht auch schon selbst dabei ertappt, einem Fahrzeug, das nun wirklich nichts auf der Überholspur verloren hatte, durch dichtes Auffahren „den Hinweis“ zu geben, dass die rechte Spur frei wäre und es auf der Überholspur eher stört. Das Verletzen von Abstandsvorschriften ist heute im Strassenverkehr zwar alltäglich, aber nicht so harmlos wie man denkt. Denn beim Nichteinhalten des Mindestabstands drohen eine Strafe sowie ein Führerausweisentzug.Autor: MLaw Lukas Müller
Die Regeln
Es ist allgemein bekannt, dass Autofahrer gegenüber allen Strassenbenützern einen ausreichenden Abstand zu wahren haben (Art. 34 Abs. 4 SVG). Ein „ausreichender“ Abstand liegt dann vor, wenn auch dann noch rechtzeitig angehalten kann, wenn das vorausfahrende Fahrzeug überraschend bremst. Der ausreichende Abstand hängt vom Einzelfall ab, wie z.B. von Strassen-, Sicht- und Verkehrsverhältnissen sowie von der Beschaffenheit des Fahrzeuges.
Als Faustregel bei einem Personenwagen können Sie sich an die halbe Tacho-Regel oder die 2-Sekunden-Regel halten. Bei der Regel „halber Tacho“ muss der Abstand der Hälfte der Geschwindigkeit entsprechen, d.h. bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h mindestens 60 Meter. Diese Regeln werden auch von den Gerichten regelmässig angewendet.
Die Dauer bzw. die Strecke einer Abstandsunterschreitung spielt ebenfalls eine Rolle. Gemäss Bundesgericht kann eine Verkehrsregelverletzung bereits dann vorliegen, wenn der Mindestabstand auf der Autobahn auf einer Strecke von 300 bzw. 132 m unterschritten wird. Bei 120 km/h kann somit bereits eine verhältnismässig kurze Unterschreitung (5-10 Sekunden) eine grobe Verkehrsregelverletzung sein.
Video-Beweis und vorteilhafte Berechnung
Die Kantonspolizei St. Gallen hat Ende 2022 zur Abstandsmessung im Strassenverkehr – insbesondere auf der Autobahn – ein neues Messsystem (Videokontrollsystem, VKS) eingeführt. Dieses ist mit mehreren Kameras ausgerüstet und überwacht den Verkehr auf einer Strecke von bis zu einem halben Kilometer. Mithilfe der „Haupt“-Kamera werden die Geschwindigkeit des voraus- und des hinterherfahrenden Fahrzeugs sowie deren Abstand ermittelt. Mit den übrigen Kameras werden der Lenker, das Fahrzeug und die Kontrollschilder identifiziert.
Durch das Messsystem haben die Behörden eine Videoaufnahme, welche die Verkehrsregelverletzung dokumentiert und als verlässliches Beweismittel zum Nachweis ebendieser Verkehrsregelverletzung dient. Anhand des Videomaterials können die Behörden insbesondere auch Behauptungen des Fahrzeuglenkers, wie z.B. das vorausfahrende Fahrzeug habe gebremst oder der zu geringe Abstand sei nur auf einer sehr kurzen Strecke unterschritten worden, ganz einfach überprüfen bzw. widerlegen.
Bei der Messung bzw. bei der Berechnung des Abstands wird von den für den betroffenen Fahrer günstigsten Werten ausgegangen. Das bedeutet: Der Abstand wird anhand der Räder gemessen – also von Rad zu Rad. Fahrzeugteile wie Front und Heck, die über die Räder hinausragen, werden dabei nicht berücksichtigt. Der tatsächliche Abstand zwischen den Fahrzeugen ist also noch geringer, als es das Messresultat anzeigt.
Vor diesem Hintergrund sind die Erfolgsaussichten meist gering, wenn man gegen die Messung oder den Strafbefehl vorgehen möchte. Wer die Richtigkeit der Messung dennoch anzweifeln will, muss in der Regel ein kostspieliges Gutachten in Auftrag geben, wobei auch dieses keine Gewähr dafür bringt, dass die Richtigkeit der Messung widerlegt werden kann.
Keine blosse Ordnungsbusse
Es wird nicht jede noch so geringe Unterschreitung des Mindestabstands verfolgt. Die Kantonspolizei St. Gallen hat sich mit der Staatsanwaltschaft darauf verständigt, dass nur Abstände von weniger als 0.8 Sekunden zur Anzeige gebracht werden. Bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h entspricht dies einem Abstand von rund 27 Metern oder ca. 6 Autolängen. Mit dem VKS werden somit nur Fälle verfolgt, bei denen der Abstand klar zu gering war.
Wer den erforderlichen Mindestabstand auf einer Autobahn im Kanton St. Gallen verletzt und gestützt auf das Messsystem der Kantonspolizei bestraft wird, kommt nicht einfach mit einer Ordnungsbusse davon. Abstandsverletzungen werden von der Kantonspolizei St. Gallen bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht. Es kommt somit zu einem Strafverfahren. Ebenso erfolgt stets eine Meldung ans Strassenverkehrsamt.
Konsequenzen
Aus strafrechtlicher Sicht droht dem Fahrzeuglenker eine Verurteilung wegen einer einfachen (Abstand von 0.8 bis 0.6 Sekunden) oder einer groben (Abstand von weniger als 0.6 Sekunden) Verkehrsregelverletzung. Bei einer einfachen Verkehrsregelverletzung ist gemäss den Richtlinien der Staatsanwaltschaft St. Gallen in der Regel mit einer Busse von ca. CHF 300.00 zu rechnen. Hinzu kommen im Normalfall Verfahrensgebühren von ungefähr CHF 250.00. Bei einer groben Verkehrsregelverletzung droht eine Geldstrafe in Form von Tagessätzen. Je nachdem, wie stark der Abstand unterschritten wurde, kann diese ab 10, 20 oder ab 30 Tagessätzen sein. Auch hier kommen dann noch die Verfahrensgebühren hinzu.
Nebst einer Busse oder einer Geldstrafe droht oftmals ein Führerausweisentzug. Wird das Nichteinhalten des Abstands als grobe Verkehrsregelverletzung eingestuft, ist in der Regel ein Entzug von mehreren Monaten wahrscheinlich.
Will man gegen den Entzug des Führerausweises vorgehen, muss dies bereits im Strafverfahren geschehen. Wer es verpasst, rechtzeitig gegen einen Strafbefehl Einsprache zu erheben und die Busse bzw. Geldstrafe bezahlt, hat den Strafbefehl akzeptiert. Der darin festgestellte Sachverhalt ist anschliessend auch für die Administrativbehörde verbindlich.