Invalidenversicherung – mehr als nur Rente

Die Invalidenversicherung (IV) beruht auf dem Prinzip «Eingliederung vor Rente». Bevor ein möglicher Rentenanspruch geprüft wird, klärt die IV das Eingliederungspotenzial der versicherten Person ab. Ist solches vorhanden, hat die versicherte Person Anspruch auf die Unterstützung der IV, um trotz und mit gesundheitlicher Beeinträchtigung wieder Tritt im Erwerbsleben zu fassen. Die möglichen Massnahmen der IV sind vielfältigAutor: lic. iur. Nadeshna Ley
Invalidenversicherung – mehr als nur Rente

Invalide Versicherte haben ganz grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der IV. Invali-dität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit. Erwerbsunfähigkeit wiederum ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten, für die versicherte Person infrage kommenden Arbeitsmarkt.

Das Gesetz sieht vor, dass die IV die Invalidität einer versicherten Person mit geeigneten, möglichst einfachen und zweckmässigen Eingliederungs-massnahmen verhindern, vermindern oder beheben helfen soll. Sie soll den Versicherten mit anderen Worten zuerst dabei helfen, trotz und mit gesundheitlicher Beeinträchtigung wieder Tritt im Erwerbsleben zu fassen, um wirtschaftlich möglichst unabhängig bleiben zu können. Bleibt danach trotzdem eine erhebliche Einkommenseinbusse zurück, so soll die IV diese mittels Rente wenigstens existenzsichernd abmildern. Es gilt also das Prinzip «Eingliederung vor Rente».

 

Massnahmen der Frühintervention

Wird eine versicherte Person arbeitsunfähig, so kann die IV schon in einem sehr frühen Stadium sogenannte Massnahmen der Frühintervention anordnen. Ziel ist es, einer zwar noch nicht bestehenden, aber bereits drohenden Invalidität möglichst früh zu begegnen und die Invalidität nach Möglichkeit zu verhindern. Dazu wird die IV das Gespräch suchen mit der versicherten Person, deren Arbeitgeberin und den behandelnden Ärzten, um so herauszufinden, ob und wie die Arbeitssituation der versicherten Person ihrem Gesundheitsschaden angepasst werden kann. Sie kann dann verschiedene niederschwellige Leistungen erbringen wie beispielsweise Anpassungen des Arbeitsplatzes. Ist es der versicherten Person zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich, dauerhaft zu sitzen, so wird die IV ihr möglicherweise einen höhenverstellbaren Tisch zur Verfügung stellen, damit die versicherte Person ihre Arbeit stehend und sitzend im Wechsel verrichten kann.

Die IV kann auch Aus- und Weiterbildungskurse gewähren oder Berufsberatung zur beruflichen Umorientierung. Sie kann schon in diesem frühen Stadium Belastbarkeits- und Aufbautrainings oder andere Beschäftigungsmassnahmen bewilligen, mit denen die versicherte Person niederschwellig wieder an die Anforderungen des Erwerbslebens gewöhnt werden kann, eine Tagesstruktur behält und die ihr verbleibende Arbeitsfähigkeit aktiv bewahren kann.

Auf Massnahmen der Frühintervention besteht allerdings kein Rechtsanspruch. Die IV erbringt solche Leistungen dort, wo sie es als sinnvoll erachtet. Sie können nicht erzwungen und nicht auf dem Rechtsweg erstritten werden. Ausserdem verschafft die Durchführung von Massnahmen der Frühintervention keinen Anspruch auf weitere Leistungen der IV. Während einer Massnahme der Frühintervention wird kein Taggeld bezahlt.

 

Erwachsene Versicherte haben grundsätzlich keinen Anspruch auf medizinische Massnahmen der IV.

 

Eingliederungsmassnahmen, vor allem Massnahmen beruflicher Art.

Anders verhält es sich bei den eigentlichen Eingliederungsmassnahmen. Auf diese haben bereits invalide oder von einer Invalidität bedrohte Versicherte tatsächlich Anspruch, sofern die (je nach Massnahme unterschiedlichen) Voraussetzungen erfüllt sind.

Unter sehr engen Voraussetzungen besteht für Versicherte, die jünger sind als 20 Jahre, Anspruch auf Kostenübernahme medizinischer Massnahmen. Erwachsene Versicherte haben grundsätzlich keinen Anspruch auf medizinische Massnahmen der IV. Im Vordergrund stehen deshalb die Massnahmen beruflicher Art, von denen einige nachfolgend kurz umrissen sein sollen.

Vorauszuschicken ist, dass kein Anspruch auf die für eine versicherte Person beste oder wünschenswerteste Massnahme besteht. Für die Leistungsgewährung fallen nur Massnahmen in Betracht, die den Fähigkeiten und, soweit möglich, auch den Neigungen der versicherten Person entsprechen und die das Eingliederungsziel auf einfache und zweckmässige Weise anstreben. Dies bedeutet, dass zwischen der Dauer und den Kosten der Massnahme einerseits und dem wirtschaftlichen Erfolg andererseits ein angemessenes Verhältnis bestehen soll.

 

1. Berufsberatung

Die Berufsberatung dient der Erfassung der Persönlichkeit der versicherten Person sowie auch deren Fähigkeiten und Neigungen. Dies soll als Grundlage für die Wahl einer geeigneten Ausbildung, Berufstätigkeit oder für die Stellenvermittlung dienen. Die Berufsberatung umfasst auch die Laufbahnberatung von Erwachsenen, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrer bisherigen Tätigkeit beeinträchtigt sind und sich neu orientieren müssen. Die Leistung beinhaltet Beratungsgespräche und, falls erforderlich, auch psychologische Tests. Es sind auch Schnupperlehren, Berufspraktika und dergleichen möglich.

Berufsberatung setzt voraus, dass die versicherte Person eingliederungsfähig ist, d.h., wenn sie arbeitsfähig und auch bereit ist, sich wieder ins Arbeitsleben zu integrieren. Sie soll zeigen, welche Tätigkeiten sich für eine versicherte Person unter Berücksichtigung insbesondere auch ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen eignen. Sie kann indes nicht die Frage beantworten, ob die versicherte Person überhaupt arbeitsfähig ist.

 

2. Erstmalige berufliche Ausbildung

Versicherte, die noch nicht erwerbstätig waren, und denen wegen der Invalidität bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung in wesentlichem Umfang zusätzliche Kosten entstehen, haben Anspruch auf Ersatz dieser Kosten. Vorausgesetzt ist, dass die Ausbildung der Behinderung angepasst ist und den Fähigkeiten der versicherten Person entspricht. Sie muss zudem einfach und zweckmässig, sowie auf die Eingliederung in das Erwerbs-leben ausgerichtet sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, übernimmt die IV die Kosten einer Berufslehre, weiterführenden Schule oder auch Universität sowie die Kosten der zum ordentlichen Ausbildungsprogramm gehörenden Vorbereitungen. Während der Dauer einer solchen Ausbildung besteht meist auch Anspruch auf ein Taggeld der IV.

 

3. Umschulung

Versicherte Personen, die bereits erwerbstätig gewesen sind, haben Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung wegen der Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann. Durch Umschulung soll der versicherten Person, die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung ihre bisherige Erwerbstätigkeit
nicht mehr ausüben kann, eine neue Erwerbsmöglichkeit verschafft werden, die der früheren Tätigkeit annähernd gleichwertig ist. Die Gleichwertigkeit beurteilt sich hauptsächlich nach den Verdienstmöglichkeiten, wobei immerhin auch der langfristige Verlauf der mutmasslichen Karriere und auch Faktoren wie die Jobsicherheit mitberücksichtigt werden.

Das Erfordernis der Gleichwertigkeit begrenzt den Umschulungsanspruch der versicherten Person «nach oben». Die IV erachtet es nicht als ihre Aufgabe, eine versicherte Person in eine bessere beruflich-erwerbliche Stellung zu führen, als sie vorher innehatte. Problematisch kann dies insbesondere bei Personen sein, die keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können oder Hilfsarbeiten verrichtet haben. Die Kostenübernahme einer Umschulung, wenngleich aus gesundheitlichen Gründen notwendig, kann in solchen Fällen verweigert werden, weil die versicherte Person sonst mit Invalidität wirtschaftlich bessergestellt wäre als ohne.

Während der Dauer einer Umschulung besteht oft auch Anspruch auf ein Taggeld der IV.

 

4. Arbeitsvermittlung

Die Leistungen, welche die IV einer versicherten Person unter dem Titel
«Arbeitsvermittlung» erbringen kann, sind jenen, welche die
Arbeitslosenversicherung erbringt, sehr ähnlich. Vorab leistet die IV aktive Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz und begleitende Beratung mit Blick auf die Aufrechterhaltung eines Arbeitsplatzes. Um die tatsächliche Leistungsfähigkeit einer versicherten Person im Arbeitsmarkt abzuklären, kann der versicherten Person auch vorübergehend und versuchsweise ein Arbeitsplatz zugewiesen werden. Findet die versicherte Person einen Arbeitsplatz, entspricht ihre Leistungsfähigkeit bei Stellenantritt aber nicht dem vereinbarten Lohn, so kann die IV auch Einarbeitungszuschüsse leisten, d.h. sie bezahlt während längstens 180 Tagen einen Teil des arbeitsvertraglich
festgesetzten Lohns. Selbst Kapitalhilfe zur Aufnahme oder zum Ausbau einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ist denkbar. Die IV erbringt Geld- oder Sachleistungen in Form von verzinslichen Darlehen bzw. Leihgaben, unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Rückleistungspflicht.

 

Nicht nur Recht, auch Pflicht

Die Möglichkeiten der IV, die Versicherten bei der (Wieder-)Eingliederung ins Erwerbsleben zu unterstützen, sind also vielfältig. Diese Leistungen sind jedoch als Pflichtrechte ausgestaltet: Die versicherte Person ist zu solchen Leistungen nicht nur berechtigt, sondern nachgerade auch verpflichtet, sich allen angeordneten zumutbaren Abklärungs- und (Wieder-)Eingliederungsmassnahmen zu unterziehen und aktiv zum Erfolg der Eingliederung beizutragen. Tut sie dies nicht, droht im schlimmsten Fall der Verlust der nachfolgenden Rechte wie z.B. des Rentenanspruchs.

 

Die IV erbringt Geld- oder Sachleistungen in Form von verzinslichen Darlehen bzw. Leihgaben, unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Rückleistungspflicht.

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